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3. Geometrische Darstellung und Bäcklundtransformation

 

 

Die Solitonentheorie ist historisch und inhaltlich mit der klassischen Differentialgeometrie, d.h. mit der Theorie der Kurven und Flächen verbunden. Erstmalig wurde eine Solitonengleichung, nämlich die Sinus-Gordon-Gleichung (SG-Gleichung), in einem differentialgeometrischen Zusammenhang aufgeschrieben. Erst viel später wurde diese differentialgeometrische Entwicklungslinie in der Solitonentheorie wieder aufgegriffen und wesentlich ausgebaut. Ein Vertreter dieser Linie vertritt sogar die provokante These [Sym 1984]:

"Soliton theory is surface theory".

Solitonengleichungen, die in der Physik die besonderen solitären Wellen beschreiben, haben noch eine völlig andere Eigenschaft, die man schwerlich mit Wellen in Verbindung bringen würde: Solitonengleichungen beschreiben Flächen im R3 mit besonderen Krümmungseigenschaften. Beispiele solcher Eigenschaften sind konstante mittlere Krümmung, konstante Gaußsche Krümmung sowie die Minimalflächeneigenschaft. In der Differentialgeometrie des vergangenen Jahrhunderts wurden diese Arten von Flächen ausführlich untersucht. Es wurden besondere Parametrisierungen angegeben, mit deren Hilfe die Bedingungen für die gegebene Klasse von Flächen durch eine nichtlineare partielle Differentialgleichung ausgedrückt werden konnten. Auf diese Weise wurde die Beschreibung der Klasse von Flächen auf das Studium des Lösungsraumes dieser Gleichung reduziert. Die Geometer der klassischen Differentialgeometrie konnten detaillierte Beschreibungen dieser Flächen geben, auch unter zusätzlichen Annahmen wie z.B. Rotationsflächen. Doch es lag zunächst keine Methode vor, die das systematische Studium des gesamten Lösungsraumes ermöglichte oder jedenfalls eines größeren Teiles davon. Erst mit der Entstehung der Theorie der Bäcklundtransformationen wurde dieses systematische Studium möglich. Hiermit bildet die Theorie der Bäcklundtransformationen einen Vorläufer der Theorie der integrablen Systeme und insbesondere der Solitonentheorie.

Die Bäcklundtransformationen entstanden ursprünglich aus der Idee, durch Anwendung einer geeigneten Flächentransformation auf eine gegebene Fläche mit einer bestimmten Krümmungseigenschaft alle Flächen dieser Klasse zu erhalten, oder, anders betrachtet, aus einer speziellen Lösung der dazugehörigen Gleichung die allgemeine Lösung dieser Gleichung zu erhalten. Die Flächen, für die die erste Bäcklundtransformation gefunden wurde, sind die pseudosphärischen Flächen. Die Erforschung dieser Klasse von Flächen führte in den Sechzigern des vergangenen Jahrhunderts zur Entdeckung der SG-Gleichung. Und die Suche nach Flächentransformationen für diese Klasse von Flächen wiederum führte 1879 zur Entdeckung der Bianchitransformation, der Lietransformation 1880 und der Auto-Bäcklundtransformation der SG-Gleichung 1883. Im Verlauf der Erforschung der Bäcklundtransformationen wurden weitere besondere Eigenschaften der pseudosphärischen Flächen entdeckt. Was die Bäcklundtransformationen betrifft, so spielte in der frühen Periode der Solitonentheorie nur die Auto-Bäcklundtransformation der SG-Gleichung eine Rolle: Deren Entdeckung markiert nicht nur den Beginn der Theorie der Bäcklundtransformationen, sondern mit ihrer Hilfe konnten viel später auch erstmalig exakte Lösungen einer Solitonengleichung studiert werden, insbesondere die teilchenartigen Eigenschaften im Zusammenhang mit der Integrabilität der Gleichung. Dieser Zusammenhang wurde in den fünfziger Jahren dieses Jahrhunderts von ALFRED SEEGER erkannt, der die SG-Gleichung als ein Modell in der Festkörperphysik betrachtete, sie mit Hilfe der Bäcklundtransformation zu integrieren vermochte und die solitonischen Eigenschaften der Lösungen studierte. Während diese Entdeckungen in der Festkörperphysik in Kapitel 4 beschrieben sind, steht die Geschichte der entsprechenden Entdeckungen der Differentialgeometrie im Mittelpunkt dieses Kapitels.

 

 

 

Weiter mit Kapitel 3.1: Die Entdeckung pseudosphärischer Flächen

 

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